Glück Singen

Glücklich sein im Sängerberuf?

May 17, 20245 min read

“Mut steht am Anfang des Handelns, Glück ist am Ende.” - Demokrit

Warum sind so viele professionelle Sängerinnen und Sänger unglücklich, wo doch Singen glücklich macht?

oder: Was wir von einem frisch verliebten Paar für das Glück im Berufsleben lernen können.

Warum sind so viele professionelle Sängerinnen und Sänger unglücklich, wo doch singen so glücklich macht?

Das ist eine Frage, die mich für lange Zeit sehr irritiert hat. Sie gilt übrigens für den ganzen professionellen Musikbereich.

Wenn man sich mit der Frage ‚Warum sollen wir Musik machen?‘ beschäftigt, dann kommt man sehr schnell auf viele bekannte Antworten:

Weil Musik Glückshormone freisetzt

Weil wir durch das Musizieren sozial kompetenter werden.

Weil wir durch das Musizieren (insbesondere das Singen!) gesünder werden (Sauerstoffversorgung, Energiehaushalt, hormonelles Gleichgewicht etc..)

Weil wir, sobald wir singen, keine Angst haben können

Weil Musik ein Anti-Depressivum ist

Wow – was für eine Liste! Und wie wir wissen, ist das keine ‚Wunschliste‘, sondern das sind wissenschaftlich bewiesene Tatsachen.

Die logische Schlussfolgerung müsste doch sein, dass Menschen, die dieses ‚Wundermittel‘ zum Beruf gemacht haben, einfach nur dauer-glücklich sein müssten!

Doch die Wirklichkeit sieht irritierender Weise oft anders aus.

Frustrationen und Ängste stehen auf der Tagesordnung, Auftritte werden nur mit Hilfe von Psychopharmaka geschafft, Flucht in Alkohol oder andere Drogen.


Wie ist das möglich?

Und vor allem – kann man da etwas dagegen tun?


Ich möchte hier einen Vergleich aus der Partnerschaft zu Hilfe ziehen, den jeder kennt.

Wenn man frisch verliebt ist, dann sieht man, so heißt es, alles durch eine rosarote Brille. Alles am Partner ist toll und aufregend und man stellt sich die gemeinsame Zukunft wie ein Schweben auf Wolke Sieben vor..

Doch dann kommt die ‚Ernüchterung‘. Der Alltag zeigt, dass doch nicht alles so toll ist, wie man sich das zu Beginn vorgestellt hat und es ist bei weitem alles andere als sicher, dass die Partnerschaft auch langfristig hält.

Der Vergleich mit der professionellen Musikausübung ist insofern auch deswegen stimmig, da auch ‚verliebt zu sein‘ und ‚zu lieben‘ ein richtiger gesundheitlicher Jungbrunnen ist.

Glück beim Singen

Mir hat eine sehr weise Frau dazu einmal folgendes gesagt:

‚Die meisten Menschen denken, wenn man frisch verliebt ist, sieht man alles durch die ‚rosarote Brille‘ was bedeutet, dass man ‚unrealistisch‘ ist. Genau das Gegenteil ist der Fall! Der Andere ist deswegen so aufregend, weil Du alle Potentiale in ihm siehst. Du siehst alles, wozu der andere fähig ist, alle Möglichkeiten, die er ganz real hat. Leider nutzen die meisten Menschen ihre Potentiale dann später nur zu einem geringen Teil. Das ist dann mittel- und langfristig sehr frustrierend für den Partner.

Glaube ich aber auch selber an meine Potentiale und arbeite ein Leben lang daran, diese zu entfalten, so bleibt auch die Partnerschaft aufregend‘

Was für eine Aussage! Und welcher Paradigmen-Wechsel ist dadurch möglich!

Gehen wir zurück zum professionellen Singen.

Welche Träume hat man da doch zu Beginn. Und wie toll stellt man sich das Berufsleben als Sängerin oder Sänger vor. Oder anders gesagt, wie ‚verliebt‘ ist man doch in diesen Beruf!

Und dann kommt der Alltag, die Ernüchterung. Die Realität ist ‚eben doch anders‘.

Oder vielleicht doch nicht?

Was passiert denn nun wirklich, was zur Folge hat, dass aus anfänglich top motivierten und begabten jungen Musikern frustrierte Alkoholiker oder aus hoffnungsvollen jungen Sängerinnen und Sängern gestresste ‚Ausübende‘ werden.

-) Mut zur Individualität

Zum einen fehlt sehr oft der Mut zur Individualität. Aber woher auch. Wir werden von jüngsten Kindesbeinen an dazu erzogen, konform zu sein. Im Kindergarten, später in der Schule und dann im Berufsleben.

Versuche, nicht aufzufallen, dann hast Du es bequem. - Der Tod für jede Künstler-Karriere.

Wir nehmen dem Publikum damit das, was es am meisten liebt. Menschen zu spüren, Emotionen zu erleben und sich in den Aufführungen selbst wieder zu erkennen. Und die Beziehung zum Künstler zu spüren. Das ist aber nur möglich, wenn der Künstler das auch zulässt. Das heißt, wenn der Mut da ist, Profil zu zeigen, anzuecken, individuell zu sein.

Das kann im gesanglichen Bereich auch bedeuten, klanglich und interpretatorisch eigene und unkonventionelle Wege zu gehen. Das braucht Widerstandskraft und Überzeugung für die eigenen Werte.

Leider versuchen viele Künstlerinnen und Künstler ‚zu gefallen‘ und nicht, Beziehung aufzubauen und etwas mitzuteilen. Ein Weg, der direkt in die Frustation führt.

-) Entwicklung aller Möglichkeiten

Zum anderen, und da komme ich auf das oben erwähnte Bild der frischen Verliebtheit zurück,

bleiben viele Sängerinnen und Sänger weit unter ihren Möglichkeiten.

Es ist fatal, wenn jungen Menschen in der Ausbildung vermittelt wird, sie seien danach fertige Künstler-Persönlichkeiten und hätten auch vom technischen Verständnis bereits alles, was sie je brauchen, gelernt.

Jede Liebe, sei es in der Partnerschaft oder im Beruf, braucht Weiterentwicklung.

Braucht das Weiterleben der Träume, die man hatte.

Braucht das Sammeln von Ideen und Möglichkeiten, diese Träume Schritt für Schritt zu erreichen.

Und braucht die Entschlossenheit, die Hindernisse dazu zu überwinden.

Und niemand auf der ganzen Welt kann das für sich alleine bewerkstelligen.

Niemand kennt alle Wege, die notwendig sind, um die eigenen Träume zu verwirklichen.

Es braucht den Blick von außen, um den Blick über den Tellerrand zu schaffen.

Im Hochleistungs-Sport ist es viel üblicher, dass für alle möglichen Teilaspekte Spezialisten hinzugezogen werden.

Da gibt es den Mental-Trainier, den Ernährungs-Experten, den Bewegungs-Coach und so weiter.

Sich einen Coach zu nehmen, ist im gesanglichen Bereich erstaunlicherweise bei weitem unüblicher, ja wird zum Teil sogar als ‚Schwäche‘ angesehen (‚das sollte ich doch alles selber wissen..‘)

Und da beginnt die ‚Liebesbeziehung‘ zu bröckeln. Ohne diese Hilfe von außen hat man keine Chance, alle seine (sehr realen) Potentiale auszuschöpfen, und zum besten Sänger, zur besten Sängerin zu werden, die man sein kann.


Glücklich mit dem Beruf der Sängerin, des Sängers zu werden ist eine Entscheidung.

Aber nicht die Entscheidung per se, ab jetzt ‚glücklich zu sein‘ (das funktioniert natürlich nicht), sondern die Entscheidung, alles dafür zu tun, was es braucht. Wahrscheinlich braucht man schon für das Herausfinden, was es braucht, Hilfe von außen.

Aber mit dem Mut dieser Entscheidung, dem Mut zur Individualität und der Bereitschaft, Maßnahmen zu ergreifen, die ungewöhnlich oder unpopulär sind oder von anderen nicht verstanden werden geht man direkten Weg zur Erfüllung und Glück im Beruf.

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